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"Mir ist soooo laaaangweilig!!!"

Dieser Satz ist gefürchtet und macht uns Eltern nervös - bedeutet er doch, dass unsere Kinder gerade unausgelastet, quengelig und unterfordert sind. Schon seit Wochen quälen wir uns nun mit Home-Office, Home-Schooling und Home-Animation herum, sind mit 100 kreativen Beschäftigung-Tipps in die Osterferien gestartet und stapeln pädagogisch wertvolle und altersgerechte Bücher. Aber unserem Kind ist langweilig..

 

Jetzt verspüren viele Eltern den Drang, unmittelbar etwas gegen diese Langeweile unternehmen zu müssen. Sie befürchten, dass die Stimmung des Kindes kippt und sich gegenseitiger Frust aufbaut.

 

So reagieren wir erstmal mit Sätzen wie: „Dann mal doch mal was!“, „Schau mal, wieviele Lego-Steine du hast - bau halt was Schönes!“, „Was wäre ich froh gewesen, wenn ich so viele Puppen gehabt hätte..“.

Aber wir wissen alle, die Kinder haben auf alle unsere Vorschläge keine Lust und reagieren konsequent mit Abwehrhaltung. Was jetzt?

 

Die Münchner Familientherapeutin Anette Frankenberger vermittelt  hierzu eine ganz andere Perspektive:

"Langeweile ist wichtig", betont Frankenberger. Sie zählt auf, welche Funktionen Langeweile hat – für Kinder wie für Erwachsene: "Wir verarbeiten Erlebtes, kommen zu uns und regulieren uns selbst – das geht nur mit Ruhe. Wir brauchen nicht sofort Ablenkung, wir müssen nicht sofort ein Filmchen im Handy gucken oder etwas essen, nur weil wir meinen, wir bräuchten immer eine Beschäftigung." 

 

"Die Annahme, dass ein Kind sich besser nicht langweilen sollte, ist weit verbreitet, aber falsch. Es ist ganz im Gegenteil eine wichtige Erfahrung, Langeweile auszuhalten. Zu akzeptieren, dass einfach mal gerade nichts ist", erläutert Frankenberger. 

Sie empfiehlt den Eltern zu entgegnen: „Dann langweilst du dich jetzt mal!“

 

Langeweile und Untätigkeit ist unserer Leistungsgesellschaft eher verpönt, erklärt Frankenberger.: ,,Das führt dazu, dass der Alltag von Kindern viel zu durchgetaktet ist. Wenn immer Programm ist, wird es nie die Angst vor dem Zustand der Langeweile verlieren."

Es sei wichtig für das Kind zu lernen, damit umzugehen. ,,Wenn ich ihm mal fünf bis zehn Minuten jegliches Entertainment verweigere, wird ihm etwas einfallen, was es tun möchte. Es wird das unschöne Gefühl der Langeweile durchleben – und erfahren, dass sie sich auch wieder verabschiedet. Drücke ich ihm aber das Tablet in die Hand, zieht es die Lehre: Die Langeweile geht immer dann weg, wenn ich App spielen darf."

 

Auch der beliebte Fernseher ist kein geeignetes Mittel, um gegen Langeweile vorzugehen. Der Neurowissenschaftler und Psychiater Manfred Spitzer warnt ausdrücklich davor: "Bildschirme zur Beruhigung von Kindern sind wie medikamentöse Schmerz- oder Beruhigungsmittel: Kurzfristig helfen sie, langfristig richten sie großen Schaden an. Sie beruhigen auch nicht, sondern machen die Sache schlimmer. Die Kinder schlafen beispielsweise viel schlechter ein."

Spitzer weist auch in seinen Büchern darauf hin: Das Gehirn schläft nie, es ist immer aktiv, auch beim ziellosen Nichtstun. Das seien die Zeiten, in denen das Gelernte verarbeitet wird. "Wenn man Kinder im Sandkasten beim Spielen beobachtet, dann sieht man, dass sie manchmal dasitzen und ,in die Luft gucken‘", sagte er einmal in einem Interview mit dem "Kölner Stadtanzeiger". Es sei offensichtlich von Bedeutung für unser Gehirn, "dass es nicht immer in der Welt ist, sondern gelegentlich einfach nur bei sich selbst."

 

Viele gute Einfälle kommen uns erst dann, wenn das Gehirn die Gelegenheit hatte, sich in Ruhe zu sortieren: Unter der Dusche, beim Kochen oder auf einem Spaziergang.

Zu Spaziergängen rät Spitzer Familien in diesen Zeiten dringend: "Wer Kinder hat, sollte täglich mindestens für eine oder besser für zwei Stunden raus gehen, am besten in den Wald. Sie sind danach viel aufgeräumter. Und dort gelingt auch der körperliche Abstand zu anderen."

 

Die Therapeutin Frankenberger schlägt Eltern außerdem vor, die Kinder ihre Langeweile nicht nur aushalten zu lassen, sondern selber Vorbilder im Müßiggang zu sein: "Ich sitze hier jetzt mal und tue nichts." Wir werden schell feststellen, dass auch wir Erwachsenen oft das Nichtstun erst erlernen müssen. Lassen wir uns aber darauf ein, können wir und unsere Kinder von dem Geschenk der Freiheit in unseren Köpfen profiteren.

 

Zu den Personen:

Anette Frankenberger arbeitet in München als systemische Paar- und Familientherapeutin sowie Supervisorin seit 1994 in eigener Praxis. Seit 1989 ist sie als Dozentin in der Erwachsenenbildung und Erziehungsberatung tätig.

 

Manfred Spitzer ist ein deutscher Neurowissenschaftler, Philosoph, Buchautor und Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III in Ulm.

 

Weitere Quellen:

  • Antonia Fuchs: https://web.de/magazine/ratgeber/kind-familie/laaangweilig-eltern-meistens-falsch-reagieren-34573652
  • Kölner Stadtanzeiger: "Hirnforschung - Faulenzen macht klug!"
  • Die Zeit: "Vom geistreichen Nichtstun"